Saarbrücken – Sarreguemines 15. Mai 2020
Natürlich kommt dem Englischen als erster Fremdsprache eine primäre Rollezu. Das darf aber nicht zu einer Wahl führen, die andere Sprachen vonvorneherein ausschließt. Dies gilt besonders in den Grenzregionen, wo andereSprachen als Englisch aufeinandertreffen. So möchten wir seitens unsererVereinigung zur Förderung der Zweisprachigkeit uns ausdrücklich dafüraussprechen, dass bei der angestrebten Zertifizierung zusätzlich zum Englischendie jeweilige Nachbarsprache, also Deutsch im Grand Est oder Spanisch in derNouvelle-Aquitaine und der Occitanie, Italienisch in der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur usw. zum Erwerb der Licence, DUT- und BTS-Abschlüsseobligatorisch wird. Andernfalls würden ja die Beschlüsse des Aachener Vertragsvon 2019 in Frage gestellt.
Ansonsten laufen wir Gefahr, dass vieles Erreichte in Frage gestellt oderrückgängig gemacht würde. Dies kommt auch in der Vorstellung einigerVereinsmitglieder zum Ausdruck, die hier stellvertretend für andere Meinungenzu Wort kommen sollen. So hält z.B. unser Vorstandsmitglied HeinerBleckmann, ehemaliger Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit, dieAnordnung des Dekrets.
für einen Schlag ins Gesicht
der Deutsch-Französischen Hochschule,
des Deutsch Französischen Hochschulinstituts,
des Deutsch-Französischen Sekretariats in Saarbrücken (DFS/SFA), dasden Austausch während einer Berufsausbildung im Partnerland organisiert,
verschiedenster europäischer Programme, die den Austausch von jungenMenschen in Ausbildung und Studium mit allen EU Mitgliedstaaten fördern
und die Anordnung läuft auf einen Boykott aller Bemühungen hinaus,grenzüberschreitende Berufsausbildung im dualen System weiter zu fördern undzu etablieren.
Darüber hinaus werden die Bemühungen des DFJ/OFAJ stark behindert.
Die dialektophonen Zweige in den Schulen werden nicht mehr existieren.
Neue Projekte, wie z.B. ein Bibliobus in der Grenzregion Saar-Lor, sindzumindest stark behindert, wenn nicht zum Scheitern verurteilt.
Die Lebens- und Berufswirklichkeit in den Grenzregionen erfordert in ersterLinie gute Kenntnisse in der Sprache des Nachbarlandes. Alle diese genanntenProjekte dienen dem Zusammenwachsen Europas.
Bezüglich des Elysee-Vertrags äußert sich unser deutsch-französisches MitgliedAnne-Marie Schanne:
Diesen Vertrag, ein wichtiger Teil die Jugend- und Kulturpolitik, versuchen vorallem diverse grenznahe Schulen wie z. B. das DFG in SB, aber auch in BUCbei Paris, mit Leben zu füllen, indem sie einen ganz praktischen Teil zurVölkerverständigung leisten. Franzosen kommen nach Deutschland umgemeinsam mit deutschen Schülern gegenseitige Achtung, Anerkennung undFreundschaft zu lernen. Sollten wir diesen seit Jahren erprobten Lernprozessleichtfertig opfern?
Für den wichtigen Bereich des Frühbeginns des Fremdsprachenerwerbs äußertsich unser Mitglied Karin Häfner, eine erfahrene Pädagogin:
Ich, als ehemalige Direktorin einer zweisprachigen Kindergarten-Grundschulein Sgms (école de la Blies, ABCM), finde es incroyable - unglaublich-unfassbar. Alles, was wir ab 1997 aufgebaut haben, wäre umsonst gewesen...
Unser Vereinsmitglied Inge Arnold äußert sich wie folgt gegenüber der Rolledes Englischen:
Aber es gibt viele gute Gründe, andere Fremdsprachen ebenfalls zu fördern.Wichtig ist dabei insbesondere der Erwerb der Sprache des Nachbarn, wennman in einer Grenzregion lebt. Für die Saarländer ist das Französisch, für dieLothringer und Elsässer Deutsch, für die Sachsen Polnisch, für Südwest-Frankreich wohl Spanisch etc.wichtig. Dem Saarland mit seiner Frankreich-Strategie kann dieser Spracherlass der französischen Regierung, der denErwerb einer Licence (DUT/BTS) von der Vorlage eines Englisch-Zertifikatsabhängig macht, gar nicht gefallen, weil ausschließlich Englisch gefordert wirdund man keine andere Sprache wählen kann. Dadurch wird das Interesse seitensSchülern und Studenten, auch andere Fremdsprachen bis zu einem guten Niveauzu erlernen, weiter reduziert. Das Interesse am Deutsch-Unterricht ist inFrankreich über die letzten Jahre aufgrund von Unterrichts-Neuregelungen sowieso schon stark zurückgegangen, die Neuordnung der Departements mitSchaffung der Region Grand-Est hat dazu ebenfalls beigetragen.
Und als direkte Reaktion darauf äußert sich unser Mitglied Michael Iba, Lehrer:
Inge, ich kann Deine Argumentation sehr gut verstehen und finde, DeineForderung, dass das “vorzulegende Zertifikat in Englisch oder einer anderenFremdsprache sein kann – ich denke, dass z.B. für Studenten mit arabischeroder türkischer Muttersprache auch diese eine Option sein sollte” unglaublichwichtig.
Wir sollten dies aktiv bei unseren Überlegungen mit einbringen. Es gibt ja eineWürde nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei der Sprache, die einMensch spricht oder sprechen möchte. Ist es eigentlich Aufgabe einesMitgliedstaats der EU, dafür zu sorgen, dass eine Fremdsprache (in diesemFalle Englisch) privilegiert wird?
Unser Mitglied der Sprachwissenschaftler Prof. Franz Schneider, der Autoreines deutsch-französischen Wörterbuchs, das der Region Saarland – Lothringenbesondere Aufmerksamkeit schenkt, geht noch einen Schritt weiter, wenn erschreibt:
Selbst Leute mit hohem Bildungsgrad und sprachlichen Erfahrungen inBrüsseler EU-Institutionen berichten als nichtenglische Muttersprachler davon,welche Schwierigkeiten der Verständigung bestehen und welche Nachteile dienichtenglischen Muttersprachler haben, einem argumentativen Diskurs in demum Vorstellungen "gestritten" wird, mitzuhalten. (Literatur: Parler l'européen,Stéphanie Buzmaniuk, Fondation Robert Schuman, 23.12.2019;https://www.robert-schuman.eu/fr/questions-d-europe/0541-parler-l-europeen ODER https://www.robert-schuman.eu/de/doc/questions-d-europe/qe-541-de.pdf.
Es gibt nicht wenige Leute, die sagen, dass die traurige Lage, in der sich zurZeit unsere EU präsentiert, AUCH in dem tabuisierten sprachlichenVerständigungsproblem eine Ursache hat.
Zum Schluss möchten wir noch zwei Lothringer Freunde zu Wort kommenlassen. Hervé Atamaniuk vom Service Culturel von Sarreguemines schreibt:
Concernant le rapport à l'allemand tu me connais depuis bien longtemps poursavoir que je suis un militant du plurilinguisme. Dans les faits ce qui m'intéressen'est pas la seule promotion des langues dites "nationales", même si elles sontnotre lien consubstantiel. Pour autant un allemand sans l'âme de la Mundart serait sans sens dans notre région, tout comme le luxembourgeois (dans saversion "langue nationale" et "langue locale") sont à mon sens déterminant.
In eine ähnliche Richtung weist auch der Autor und Vereinspräsident Jean-LouisKieffer:
L’association « Gau un Gris » soutient votre action. L’état françaiscentralisateur et jacobin ne tient absolument pas compte de notre spécificitéculturelle et linguistique. Notre région est germanophone, notre histoire, notregéographie (toponymie), notre culture appartiennent au monde germanique. Ilest vrai que depuis 1919 tout a été mis en œuvre pour faire de nous des citoyensfrançais ordinaires et « monoculturisés » : nos enfants sont désormaismonolingues. Mission accomplie ! A-t-on tenu compte dans l’enseignement(officiel) de l’allemand de notre spécificité « dialectale » qu’il aurait falluvaloriser et mettre en avant au lieu de la dénigrer ou de l’ignorer ? A-t-on faitdisparaître le francique pour pouvoir mieux enseigner un allemand standard àtous les amateurs germanophiles?
Autre remarque : au moment où la Sarre se lance dans la « stratégie française »et voudrait que tout le monde parle français, Paris voudrait que nos étudiantslorrains parlent moins l’allemand mais davantage l’anglais. C’est la« stratégie » française ! Car évidemment, et cela va de soi, nous autres Lorrainset Alsaciens n’avons pas droit à la parole (à notre parole ?).
Diesen vielfältigen Argumenten ist zu entnehmen, dass die Bevorzugung nureiner Sprache wie Englisch letztendlich dem Spracherwerb selbst abträglich ist,dessen ureigenster Auftrag die Mehrsprachigkeit ist. Wie soll einer erkennen,dass 40 % des Englischen galloromanischen Ursprungs ist, wenn er keinFranzösisch kann oder wie kann ein Englischlerner darauf verzichten wollen,seinen deutschen Dialekt als Zubringer zu nutzen. Das gilt nicht nur fürDeutsche, sondern auch für dialektophone Elsässer und Lothringer. Die Nutzungder Verwandtschaft der romanischen Sprachen braucht hier nicht eigens erwähntwerden, versteht sie sich doch von selbst. Indem man die Sprache, hier dasEnglische, isoliert, erschwert man letzten Endes nur den Zugang zu ihr. Esdürfte natürlich auch deutlich geworden sein, dass man es bei einer einfachenForderung nach Mehrsprachigkeit nicht belassen kann, sondern auch dafürsorgen muss, den Fremdsprachenunterricht selbst zu „entschulen“, damit erseinem Auftrag eines modernen Kommunikationsmediums in Europa vollgerecht werden kann.
Schließlich möchten wir ausdrücklich darauf hinweisen, dass dieRegierungsdekrete gegen Geist und Buchstaben des Aachener Vertrages, insbesondere gegen die Artikel 10 und 15 verstoßen. In diesen Artikeln wird u.a.ausdrücklich eine Förderung des Erwerbs der Partnersprache auch durchErhöhung der Zahl der Schüler*innen und Studierenden, die an einementsprechendem Unterricht teilnehmen, angestrebt. Es wird festgestellt, dassbeide Staaten dem Ziel der Zweisprachigkeit in den Grenzregionen verpflichtetsind. Bezogen auf unsere Region bedeutet das: Deutsch im Elsass und inLothringen, Französisch im Saarland. In dieser Reihenfolge kann Englischselbstverständlich hinzukommen. Mit besonderem Nachdruck möchten wir mitden Worten einer der ältesten europäischen Sprachen zum Schluss feststellen:pacta sunt servanda.
Für den Vorstand der
Vereinigung zur Förderung der Zweisprachigkeit
Association pour la promotion du bilinguisme e.V.
Dr. Wolfgang Bufe
Vorsitzender - Président